Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
Bei der Hyperkinetischen Störung mit Störung des Sozialverhaltens spricht man gemäß ICD-10 F90.1 von einem kombinierten Störungsbild, bei dem einerseits die Symptomkriterien der ADHS, und andererseits die einer Störung des Sozialverhaltens (F91) erfüllt sind.[1]
Ätiologie
Siehe auch: Ätiologie der ADHS
Bei der Entstehung der Störung des Sozialverhaltens als Komorbidität spielen psychosoziale Wirkfaktoren eine größere Rolle. Forschungen zeigen auf, dass beispielsweise ein aversiver, aggressiver Erziehungsstil maßgeblich zur Entwicklung der komorbiden Symptomatik beitragen kann[2]. Die Übersensibilität von ADHS-betroffenen Kinder und Jugendlicher kann begünstigen, dass sich eine übermäßig despotische, stringente Erziehungsweise der Eltern verletzend und gar traumatisierend auf das Kind oder den Jugendlichen auswirkt[3] und so mit zunehmendem Jugendalter zur Entwicklung von Mustern oppositionellen Trotzverhaltens beitragen. Ähnliche Entwicklungen werden auch in Familien beobachtet, in denen Gewalt oder sexueller Missbrauch vorgekommen ist.[4] Gleichermaßen können aber auch ungünstige Erfahrungen in der Institution Schule, mit Erziehern oder anderen Personen, die traumatische Ereignisse verursachen, insbesondere, wenn wenige stabilisierende Ressourcen vorhanden sind, zur Entwicklung von Störungen des Sozialverhaltens beitragen.
Prävalenz
Störungen des Sozialverhaltens sind eine der unter Kinder und Jugendlichen mit ADHS am häufigsten vorkommenden Komorbiditäten. Es wird von einer globalen Verteilung von 2-16 % ausgegangen.[5] Im Grundschulalter sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen, in der Pubertät sind beide Geschlechter etwa gleich häufig betroffen. Symptome der Störung treten meist um das achte Lebensjahr herum erstmalig auf[5] Man geht bei etwa der Hälfte der von ADHS betroffenen Kinder und Jugendlichen davon aus, dass sie komorbid von einer Störung des Sozialverhaltens betroffen sind.[5] Häufig geht die Störung mit belastenden psychosozialen Umständen einher, die die Symptomatik negativ beeinflussen.
Diagnose
Siehe Hauptartikel: Diagnostik
Vorraussetzung für die Diagnosestellung ist nach ICD-10, dass das Kind oder der Jugendliche seit mehr als sechs Monaten durch Muster oppositionell-aggressiver Verhaltemssymptome aufgefallen ist.
Als Leitsymptome der Störung des Sozialverhaltens gelten nach ICD-10 F91:
Symptome gemäß ICD-10 F91 |
---|
Deutliches Maß an Ungehorsam, Streiten oder Tyrannisieren |
Ungewöhnlich häufige oder schwere Wutausbrüche |
Grausamkeit gegenüber anderen Menschen oder Tieren |
Erhebliche Destruktivität gegenüber Eigentum |
Zündeln |
Stehlen |
Häufiges Lügen |
Schuleschwänzen |
Weglaufen von zu Hause |
Bei der Diagnosestellung nach F90.1 müssen sowohl die notwendigen Kriterien der ADHS, als auch die der Störung des Sozialverhaltens (F91) erfüllt sein. Leicht ausgeprägte oder situationsspezifisch auftretende Konzentrationsschwierigkeiten oder Hyperaktivität sind häufig mit Störungen des Sozialverhaltens konfundiert. Dies rechtfertigt jedoch noch keine Diagnose einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens. Vielmehr ist eine gründliche Ausschlussdiagnostik erforderlich.
Schweregrade
→ Siehe auch: Schweregrade der ADHS
Bei der Diagnosestellung erfolgt gemäß der ICD-10-Forschungskriterien eine Unterteilung in drei Schweregrade, wobei das Ausmaß der Schädigung anderer berücksichtigt wird.[6]
Leichte Ausprägung | Mittelschwere Ausprägung | Schwere Ausprägung |
---|---|---|
Der durch das disruptive Verhalten verursachte Schaden beschränkt sich auf nicht invasive Verhaltensweisen wie lügen, Schule schwänzen, von zu Hause weglaufen, Verweigerung etc. | Das gestörte Verhalten führt zur Schädigung anderer ohne direkte Konfrontation mit dem Opfer, etwa Stehlen ohne Konfrontation, Vandalismus. | Das gestörte Verhalten schließt erheblichen Schaden anderer ein (Gewaltanwendung, kriminelles Verhalten, schweres Mobbing, erzwungene sexuelle Handlungen, Stehlen mit Konfrontation etc.). |
Therapie
Hauptartikel: Behandlung
Die Therapie von hyperkinetischen Kindern und Jugendlichen mit einer Störung des Sozialverhaltens erfolgt leitliniengemäß durch Anwendung eines multimodalen Therapiekonzepts, wobei sich für Patienten mit isolierter Störung des Sozialverhaltens noch keine Indikation für eine Pharmakotherapie ergibt. Diese erfolgt lediglich bei stark ausgepräger ADHS.[7]
Wirkung von Belohnungen
Siehe auch: Token-System
Eine Studie Aachener Kliniker und Psychologen aus dem Jahr 2011 untersuchte die Wirkung sozialer und monetärer Belohnung auf das Verhalten von Jungen mit ADHS und einer Störung des Sozialverhaltens.[8][9] Dabei zeigte sich, dass sich das Inhibitionsverhalten der betroffenen Jungen bei sozialer und monetärer Verstärkung verbesserte, wobei die monetäre Belohnung leicht überlegen war.
Häufige Begleiterscheinungen
Häufig einhergehende, komorbide Störung ist Substanzmittelabusus (Alkohol, Nikotin, Medikamente) sowie depressive Störungen, Suizidalität und Angststörungen. Ein Risiko zur Entwicklung kriminellen Verhaltens ist gegeben.
Die Ausprägung der Störung reduziert sich meist im Zuge der Adoleszenz mit dem Abklingen der Hyperaktivität, obgleich die Entwicklung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung laut Remschmidt et al. als begünstigt anzusehen ist, wenn die Verhaltensauffälligkeiten bereits vor dem 10. Lebensjahr begonnen haben.[10]
Siehe auch
Studien und wissenschaftliche Publikationen
- ADHS und Störung des Sozialverhaltens (PDF)
- Zur Therapie des Hyperkinetischen Syndroms inkl. seiner Unterformen (ADS, ADHS, hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens) (PDF)
- Der Einfluss sozialer und monetärer Belohnungen auf die Inhibitionsfähigkeit von Jungen mit hyperkinetischer Störung des Sozialverhaltens (PDF)
- Die Bedeutung der ADHS für die Entstehung und Prognose von Störungen des Sozialverhaltens im Kindes- und Jugendalter (PDF)
- Kognitive und emotionale Empathie bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS und Störung des Sozialverhaltens (PDF)
- Störungen des Sozialverhaltens (PDF)
Weblinks
Weitere interessante Artikel
- John Ratey
- Stigmatisierung und ADHS
- Lieber Lerntherapie statt Tabletten (Dokumentation)
- Wie fühlt sich ADHS an? (Kurzdokumentation)
- Auslandsreisen mit Medikamenten
- Me! Me! ME! & ADHD (Dokumentation, englisch)
- Winkelfehlsichtigkeit
- ADHS – von ersten Symptomen bis zur richtigen Diagnose (Kurzbeitrag)
- The Drugging of our Children (Dokumentation, englisch)
- Juvemus e.V.
- The Indigo Evolution (Dokumentation)
- Sozialtrainer UG
- Wender Utah Rating Scale
- Psychotherapie
- Zentrales ADHS-Netz
- Pharmakotherapie
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- ADHS in den Medien
- Non-Responder
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- Lügen und ADHS
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- Wirkung von Ritalin an den Synapsen (Lehrfilm)
- Ritalin
- Hannes Brandau
- Yoga
- Neurofeedback - Neue Therapiemethode für Zappelphilipp (Reportage)
Quellen
- ↑ ICD WHO Version 2013, Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend(F90-F98
- ↑ Hautzinger (Hrsg.): Davison und Neale (2002): Klinische Psychologie. Weinheim: BelzPVU.
- ↑ "Oppositional Defiant Disorder "Oppositional Defiant Disorder, Risk Factors and Etiology"
- ↑ ↑ a b Resch et al. (1999) Entwicklungspsychopathologie des Kindes- und Jugendalters – Ein Lehrbuch, PVU, Weinheim.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 "Oppositional Defiant Disorder, Author: Roy H Lubit, MD, PhD; Chief Editor: Caroly Pataki, MD"
- ↑ https://books.google.com/books?id=VyiM0VhE5CUC&pg=PA7&lpg=PA7&dq=st%C3%B6rung+des+sozialverhaltens+schweregrade&source=bl&ots=e8fC2i3JRF&sig=xWog_1iDBIFhmFwGi1xSlzTizr0&hl=de&sa=X&ei=CC9BVdqAOs-zogSuhIDQBw&ved=0CCUQ6AEwAQ#v=onepage&q=st%C3%B6rung%20des%20sozialverhaltens%20schweregrade&f=false
- ↑ http://www.dgsp-ev.de/fileadmin/dgsp/pdfs/PPPraesentationen_Vortraege/Studie_fuer_ADS250605-bb.pdf
- ↑ http://www.lauth-schlottke.de/adhs-infodienst/wie-wirken-belohnungen-auf-jungen-mit-adhs-und-einer-storung-des-sozialverhaltens/
- ↑ http://www.psycontent.com/content/w881m46574652rh4/
- ↑ "Helmut Remschmidt, S.338ff, Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (2008)"